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| Riverdance, Colin Dunne und Jean Butler, 1996 |
1987 regte Dr. John Cullinane, späterer stellvertretender Vorsitzender von An Coimisiún, eine Diskussion über die ungeschriebene Vorschrift an, dass Tänzer Kilts tragen müssten. An Conradh hatte den Kilt längst aufgegeben, während männliche Tänzer, die in Hosen zu Wettbewerben antraten, von den Wertungsrichtern in ihren Bewertungen immer noch faktisch auf Beginner Level herabgestuft wurden. Cullinane trat für eine Veränderung dieser Ansicht ein, da er sie für den Niedergang des männlichen irischen Tanzes verantwortlich machte. Jedoch konnte er sich damit nicht durchsetzen. Die großen Shows, die in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Blickpunkt der Öffentlichkeit traten blieben jedoch nicht ohne Einfluss auf die Gestaltung der Tanzkostüme. Michael Flatley und Colin Dunne lösten bei den männlichen Tänzern eine wahre Massenbewegung weg vom Kilt und hin zur Hose aus, die die gesamte offizielle irische Tanzbewegung in diesem Ausmaß völlig überraschte. Viele Tänzer fassten trotz der Gefahr, bei den Wettbewerben abgestraft zu werden, Mut, sich der offiziellen Kleiderordnung zu widersetzen.
Erstmals bei den regionalen Qualifikationen in den Provinzmeisterschaften zur All-Ireland Championship 1995 in Mullingar traten massenweise Jungs und vor allem Männer in Hosen an. Auch der Gewinner dieser Meisterschaft, Colm Ó Sé, hatte den Wettkampf in Hosen bestritten. Diese Tendenz setzte sich bei den Weltmeisterschaften im gleichen Jahr zu Ostern fort. Und auch der dortiger Sieger Damien Noone trug Hosen zum Tanz. Das war in den vorherigen Jahrzehnten völlig undenkbar. Diesem gewaltigen Ansturm konnte sich auch An Coimisiún nicht verschließen. Und so entdeckte die irische Tanzkommission 1996, nach mehr als siebzig Jahren, dass der Kilt eigentlich gar nicht typisch irisch ist und es nie eine schriftliche Vorschrift gab, die das Tragen eines Kilts verlangt hätte. So kam es, dass die Hose als Tanzkleidung zu Beginn des 21. Jahrhunderts weitgehend akzeptiert wurde und die Anzahl der Tänzer in Hosen die derjenigen in Kilts schnell weit überstieg. Zu den Weltmeisterschaften 2004 in Belfast erschien bereits kein einziger Tänzer mehr im Kilt.
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| Gürtelschnalle mit keltischen Symbolen, 2003 |
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| Schleifen zum Anstecken und Umbinden, sowie Schlips, 2003 |
Zur allgemein schwarzen Hose wurde meist ein einfaches Frackhemd getragen, auch schwarz oder in einer kräftigen Farbe, gelegentlich mit wenig farbigen Knotenmustern. Dazu kam entweder Schleife oder Schlips zu einer Weste oder ein breiter Gürtel oder Kummerbund. Schlips und Schleife waren entweder zum Umbinden mit einem Gummiband oder mit einem Clip zum Anstecken versehen. Der Schlips besaß oft einen Klettverschluss unten an der Spitze, um ihn am Hemd befestigen zu können, damit er beim Tanzen an seinem Ort blieb.
Während das männliche Tanzkostüm von Zusammenstellung und Schnitt her so eher klassisch konservativ europäisch wurde, wurde die Farbwahl jedoch wesentlich kräftiger. Meist wurden farblich aufeinander abgestimmte Socken, Schleifen und eventuell Kilt zu einer dazu kontrastierenden Weste oder Jacke gewählt.
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| Kleid im Riverdance-Stil mit Randverzierungen, Ende 1990er |
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| Kleid im Riverdance-Stil, aufwändig gearbeitet, 1996 |
Auch bei den Frauen lösten die Shows, die auf die geschmacklose Überladung der Kostüme verzichteten, eine Veränderung der Tanzkleidung aus. Schon ein Jahr vor "Riverdance" veröffentlichte Dr. John Cullinane ein Diskussionspapier, in dem er sich für einfache, unverzierte, aber elegante Tanzkleidung aussprach. Aber auch nach dem Erfolg von "Riverdance" tauchten nur einzelne Mädchen auf Tanzwettbewerben in wesentlich einfacher geschnittenen und weniger verzierten Kleidern auf, ähnlich den Kostümen, wie sie von Jean Butler auf der Bühne getragen wurden. Diese Kleider waren kürzer, verzichteten auf die versteiften Platten, die durch leicht wellige Röcke ersetzt wurden, und zeigten nur an den Ärmeln und am Kragen kleine Ornamente, sowie höchstens ein oder zwei einfache Symbole irgendwo auf der Körperfläche. Auch die Farben waren wesentlich dezenter. Dazu wurden wieder schwarze Strumpfhosen getragen. Im Gegensatz zu den Männern war das jedoch keine Massenbewegung. Zu den Weltmeisterschaften 1995 traten nur drei bekanntere Tänzerinnen in solchen Kostümen an. Das machte es für die Befürworter der offiziellen Tanzmode einfach. An Coimisiún schob dieser Entwicklung schnell einen Riegel vor, erklärte diese Tanzkleidung für nicht traditionsgemäß und verbot den Tänzerinnen schlicht, damit auf Wettbewerben zu erscheinen. Auch wenn dieses Verbot genau wie der frühere Kiltzwang für die Männer wiederum nicht schriftlich fixiert war, wurde es doch konsequent durchgesetzt. Tänzerinnen, die die ungeschriebenen Kleiderregeln brachen, wurden leistungsmäßig herabgestuft und teilweise sogar wegen "unangemessener" Kleidung von Wettbewerben verwiesen, was schnell seine Wirkung tat. Bedenkt man, dass die "traditionellen" Tanzkostüme in ihrer damaligen Form keine zwanzig Jahre alt waren, ist der Verweis auf die Tradition natürlich lächerlich, aber typisch für eine Politik, die Traditionen per Vorschrift schafft, und für die die bürokratische Reglementierung der Kultur eine Machtfrage ist.
Dabei ging es eigentlich nicht um bestimmte kulturelle Auffassungen von Tradition und Ästhetik, sondern um viel mehr. Schließlich ist das Ganze letztlich auch eine Geldfrage, denn inzwischen hatte sich eine ganze Industrie entwickelt, die sich auf die Lieferung von Tanzbedarf für die irischen Tanzwettbewerbe spezialisiert hatte. Diese wollte natürlich nicht auf diese reichlich sprudelnde Einnahmequelle verzichten. Damit wurde die Erhaltung des aufwändigen irischen Tanzkostüms zum Gegenstand ihrer Geschäftspolitik und einer entsprechend ausgerichteten Lobbyistentätigkeit bei den Tanzorganisationen.
Obwohl die weniger starke Bewegung zur Veränderung bei den Kostümen der Tänzerinnen bereits im Keim erstickt wurde, und unabhängig davon, wie sich die Kostüme der offiziellen Tanzwettbewerbe weiter entwickelten, bevorzugten die größeren und kleineren Shows und die Freizeittanzgruppen auch Ende der 90er Jahre des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts weiterhin dezente und einfache Kleider, was dem strengen irischen Tanzstil auch weitaus eher entspricht. Damit war eine irische Tanzkultur entstanden, die dem offiziellen irischen Wettkampftanz ernsthaft Konkurrenz machte. Welche Auswirkungen das langfristig auf die Gestaltung der Wettkampfkostüme haben wird, bleibt jedoch fraglich.