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Die irische katholische Kirche war auch in den 40er bis 60er Jahren des 20. Jahrhunderts dem Tanz im Allgemeinen gegenüber sehr kritisch eingestellt. Besonders setzten sie jedem Versuch eines kulturellen Austausches mit osteuropäischen Ländern heftigen Widerstand entgegen. Bis in die späten 60er Jahre des 20. Jahrhunderts war es für irische Tanzgruppen praktisch unmöglich, diese realsozialistischen Länder zu besuchen und den irischen Tanz dort bekannt zu machen, da die Menschen dort als böse, teuflische Kommunisten galten, deren Einfluss man sich nicht aussetzen dürfe. Andererseits waren es gerade Priester, die um 1969 mit ihrer Kulturbegeisterung die Wiederbelebung der Social Set Dances in Irland und ihre Verbreitung im Ausland bewirkten. So beispielsweise Pat Aherne, Gründer des Siamsa Tíre ['íi:msÉ 'ti:rÉ], des National Folk Theatre in Tralee, der den Irish Dance in moderner Präsentation mit Licht- und Soundeffekten zum Bühnentanz machte. Das blieben jedoch Ausnahmen, während der größte Teil des Klerus auch weiterhin Tanz nur unter religionspolitischen Gesichtspunkten betrachtete - und das auch weiterhin sehr kritisch.
Connie Ryan leitet das Plain Set in der St. Brigid's Hall, Tubbercurry, County Sligo, 1996
Connie Ryan leitet das Plain Set in der St. Brigid's Hall, Tubbercurry, County Sligo, 19. Juli 1996
Gegen den Widerstand von An Coimisiún und Kirche erlebten in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die Social Set Dances, ermöglicht durch die Schwächung der offiziellen Tanzbewegung infolge der Spaltung von An Coimisiún und gefördert von der irischen Musikervereinigung, An Comhaltas Ceoltóiri Éireann [Én 'ko:ltÉs k®o:l'to:ri 'e:rÉn] (C.C.É.), wieder eine Neubelebung. Die Waffe der Drohung mit Ausschluss aus der offiziellen Tanzszene war stumpf geworden. Viele, die auf Veranstaltungen von An Comhaltas mit Sets in Berührung kamen, wurden neugierig und begannen, Sets ihrer eigenen Region auszugraben und zu tanzen. Erst Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts aber wurden Social Set Dances wieder von einer breiteren Masse getanzt. Die gegenüber den offiziellen Céilíthe als Céilí and Old Time, also Céilí und Alte Zeit, bezeichneten Veranstaltungen, bei denen auch Set Dances, Waltzes und Sean Nós Dances erlaubt waren, gewannen schnell ihre Popularität zurück. Noch Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts waren aber nur wenige Set Dances außerhalb ihres lokalen Bereiches bekannt. Das waren vor allem Kerry Set, Clare Set, Plain Set, Cashel Set und Caledonian Set. Entsprechend groß war das Interesse daran, "neue alte" Sets kennenzulernen. Diese Situation des plötzlich erwachten Interesses versuchten leider einige Geschäftemacher auszunutzen. So tauchten plötzlich Tanzexperten auf, die mit Workshops für traditionelles Set Dancing warben und viel Geld damit machten, dem ahnungslosen Publikum reine Fantasieprodukte zu verkaufen. Im Bereich des Set Dancing gab es kein Aufsichtsorgan wie An Coimisiún im Step Dancing. Es gab kaum Aufzeichnungen, keine Standards und keine geprüften Lehrer, und jeder konnte behaupten, was er wollte. Schnell jedoch trennten sich die wahren Tanzmeister von den Betrügern, und der Sachverstand derjenigen, die die regionalen Set-Dancing-Traditionen erforschten und dem Publikum zugänglich machten, setzte sich durch. Schrittweise wurde so aus der lokalen Tradition der jeweils mit bestimmten Orten oder Regionen verbundenen Sets eine ganze Kulturbewegung, die zur überregionalen und sogar weltweiten Verbreitung vieler Sets geführt hat. Die Social Set Dances, die früher nur in ländlichen Gegenden getanzt wurden, eroberten selbst große Städte wie Dublin, wo Sets früher, selbst vor der Zeit von An Coimisiún, nie getanzt wurden. Und sie eroberten alle Klassen und Schichten der irischen Bevölkerung, vom Bildungsbürgertum bis zur Arbeiterklasse, von Kulturtraditionalisten bis zu Sportfans. Um einem breiteren Publikum die Teilnahme am Set Dancinge zu ermöglichen, wurden und werden auch teilweise wieder Caller eingesetzt, die die zu tanzenden Figuren ansagen. Dies wird jedoch bis heute von vielen Liebhabern der Set Dances aus Gründen der Tradition und der Ästhetik abgelehnt.
Die Wiederbelebung der Social Set Dances entfachte den Streit um die Originalität irischer Tänze von Neuem. Während die offizielle Bewegung, angeführt von An Coimisiún, das Social Set Dancing weiterhin scharf bekämpfte, legten sich die Set Dancers eine gewisse Trotzhaltung zu. Dieser politische Konflikt hatte auch direkten Einfluss auf den Tanzstil. Während die Solo und Céilí Dances unter An Coimisiún immer höher auf den Ballen und in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts schließlich auf den Zehen und mit immer stärker gekreuzten Beinen getanzt wurden, was ihrem neuen Charakter als Wettkampftänze entsprach, waren die Set Dancer bestrebt, sich davon zu distanzieren, um ihre Eigenständigkeit zu demonstrieren. Die Social Set Dances, die hundert Jahre zuvor genau wie die Céilí Dances näher am Boden getanzt wurden, weil sie eher für ein breites Publikum gedacht waren, wurden nun zur Unterscheidung von den Céilí Dances völlig auf dem flachen Fuß getanzt. Dieser Stil wurde, genau wie umgekehrt das Tanzen auf den Zehen für die Céilí Dances, zum Grundprinzip des Social Set Dancing erhoben. So wurde auch im Set Dancing eine Tradition an der historischen Realität vorbei definiert. Der Effekt auf den Tanzstil war eher merkwürdig. Genau wie die Céilí Dances enthalten auch die Social Set Dances in ihren Schrittkombinationen kleinere Sprünge und raumgreifende Schritte, die technisch eigentlich kaum auf dem flachen Fuß tanzbar sind. Der Versuch, es entsprechend der politischen Vorgabe trotzdem zu tun, führte dazu, dass Social Set Dances nun häufig mit schlürfenden Schritten getanzt wurden, um die Füße einigermaßen am Boden zu halten. Der tänzerischen, und auch klanglichen, Ästhetik tat das natürlich nicht unbedingt gut. Jedoch korrigierte sich diese Traditionsentscheidung im tänzerischen Alltag oftmals von selbst, indem viele Social Set Dancer im praktischen Tanz wieder zu einer eher natürlichen, leicht auf die Ballen erhobenen Tanzhaltung zurück kehrten - auch wenn sie offiziell weiter behaupteten, prinzipiell auf dem flachen Fuß zu tanzen.

Siegerehrung Junior Men, Australian Championships, Perth, Australien, 2003Siegerehrung Senior Ladies, Australian Championships, Perth, Australien, 2003
Siegerehrung Junior Men und Senior Ladies, Australian Championships, Perth, Australien, 2003

Im heutigen Irland und in den traditionell irischen Gemeinden in den USA, Kanada, Australien und anderswo ist das Irish Step Dancing ein Massensport für Kinder und Jugendliche, der wettkampfmäßig betrieben wird. Die meisten beginnen bereits mit drei oder vier Jahren mit dem Tanztraining in einer Tanzschule. Der irische Tanzsport ist zentral organisiert und streng geregelt. Es gibt eine Serie von Wettbewerben, die Feiseanna, bei denen man über größere Meisterschaften, den Oireachtas [o'róktÉs], bis zu den Weltmeisterschaften, Oireachtas Rince na Cruinne [o'róktÉs 'riñkÉ na 'krinÉ], aufsteigen kann, die 1970 zum ersten Mal abgehalten wurden. Überwacht wird alles von An Coimisiún. Da die Tanzschulen ihre Reputation, und damit ihre Chancen, Geld zu verdienen, aus der Anzahl der von ihren Schülern gewonnenen Preise schöpfen, haben sie kaum Interesse daran, jugendliche oder erwachsene Neueinsteiger oder Freizeittänzer zu unterrichten. Nur die Leistung zählt, und dazu braucht man Kinder, die zu Athleten aufgebaut werden können. Dieses Wettbewerbssystem hat den Irish Step Dance zu einem Leistungssport gemacht, bei dem es fast nur noch um athletische Höchstleistungen, Geld und auch Macht geht, während die künstlerische Seite und das Element der Lebensfreude zunehmend untergehen. Tanzlehrer, vor allem aber ambitionierte Eltern treiben ihre Kinder auf der Jagd nach Medaillen, die auch in geradezu inflationärer Fülle vergeben werden, von Wettbewerb zu Wettbewerb. Der eigentliche Zweck des Tanzes, Lebensfreude und Ausdruck von Gefühlen, spielt in diesem harten, rein erfolgsorientierten Leistungssportsystem keine Rolle mehr. Trotzdem sorgt dieses System natürlich andererseits dafür, dass die irische Tanztradition am Leben erhalten wird und der Tanz so fest im Alltag der Iren verwurzelt bleibt, wie es bei kaum einem anderen Volk der Fall ist.
Auch das Set Dancing ist seit seiner Wiederentdeckung in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Gegenstand von Wettbewerben und unterliegt heute der gleichen Wirkung des Leistungsstrebens wie das Step Dancing. Spaß und Tradition treten hinter den Versuch zurück, Wertungsrichter zu beeindrucken und "besser" zu sein. Jedoch gibt es in diesem Bereich keine Authorität, die bei aller Innovation wenigstens einen Grundstock an Tradition bewahrt, so dass die traditionellen Sets einmal mehr in ihrem Bestand bedroht sind. Glücklicherweise erwies sich die Set Dancing Bewegung bisher aber auch ohne zentralen Hirten als fähig, in ihrer Gesamtheit und mit der Begeisterung einzelner Tanzmeister sowie vieler Tänzer die Tradition zu bewahren, fortzusetzen und darauf aufzubauen.

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Irish Dance, Irish Dancing, Irischer Tanz
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Letzte Änderung: 1. Januar 2007 - © Kunst des Denkens 2003-2007
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